En vogue war Lissabon schon im ausgehenden 18.Jahrhundert. Die elegante Unterstadt mit dem prächtigen Handelsplatz Praça de Comerçio und der Reiterstatue König D. José direkt am Tejo-Flussufer gelegen, umrahmt von seinen Palast artig erbauten Ministerien, den imposanten Arkadengängen und gekrönt vom Augusta-Triumphbogen als Tor zur Promenier-Meile mitten durch die Baixa bis zum Rossio, lädt den Besucher früher wie heute ein zu einem nostalgischen Stadtbummel.
Dutzende Fachgeschäfte, spezialisiert auf Hutmachen, Kurzwaren, Stoffe, Schmuck, Fischkonserven und vieles mehr schmücken die Baixa, den Rossio, den Praça de Figueira, den Chiado, das Bairro-Alto und das Viertel Princípe Real mit Perlen erlesener und ausgefallener Produkte, allesamt hergestellt in Portugal. Zusammengefasst sind diese Geschäfte in Lissabon zu einem exklusiven Shopping-Kosmos und mit einem eigenen Messingschild gekennzeichnet als „Loja com História“ – übersetzt mit Geschäft mit Geschichte.
Diese Geschäfte spiegeln jedes einzelne den Stolz des Einzelhandels der altehrwürdigen Metropole wider. Ganze Familien, oft mehrere Generationen lang, begründen ihre Existenz als Hutmacher, Goldschmied, Schneidermeister, Kesselflicker, Feinkosthändler, Puppendoktor, etc., und kreieren mit ihrem Familiennamen ureigene Markenprodukte und Dienstleistungen, die für Qualität bürgen.
Eine charmante Erfolgsgeschichte liest man auf Fährte dieser Boutiquen. Die Spuren erzählen von Modebewusstsein aus zweieinhalb Jahrhunderten, von kunsthistorischen Trends, von Spielarten in puncto Deko und Warensortiment und lassen den Besucher teilhaben am Lissabonner Boheme-Lebensgefühl.
Angeblich haben hier einst mächtige Logen-Großmeister gespeist, präferiert in einer der durch Holzwände abgetrennten Nischen im Restaurant Estrela de Sé, unterhalb der Kathedrale von Lissabon und gegenüber der Santo António Kirche. Im Jahre 1857 als Taverne eröffnet, erfreut sich das seither über mehrere Generationen in Familienverband geführte Lokal berühmter Gäste wie Mário Soares, Mentor der Demokratie Portugals, oder den weltberühmten Pianisten Victorino d´Almeida. Auch heute noch schätzen die Gäste die Intimität des Lokals, die Diskretion der Mitarbeiter, sowie die exzellente bodenständige portugiesische Küche.
Zwei Straßenecken weiter glänzt in roter Schrift auf hellblauer Holzfassade 1942. Hier ist Lissabons älteste und berühmteste Fischkonserven-Boutique zu Hause, die Aal-Boutique Murtosa. Aal, in 1001 leckeren Varianten in der trendig geformten Dose mit der emblematischen 1942 Banderole, ist ein originelles Mitbringsel.
Ein paar Hausnummern weiter stößt man gleich auf drei kuriose Geschäfte. Zuerst sieht man bloß Knöpfe. Tausende bunte runde, quadratische, große, kleine, ovale Knöpfe, die man nebst anderen Kurzwaren, so wie im vorvorigen Jahrhundert einzeln aussuchen und kaufen kann. Die Retrosaria-Geschäfte (s. Titelbild) bieten alles, was man sich als Hobby-Schneiderin wünschen mag.
Auf der prächtigen Rua Augusta fällt unter anderem das Haus Casa Pereira da Conçeicão auf. Der Teehändler und Kaffeeröster gilt bis heute als erste Adresse für eine Auszeit vom Trubel in der Fußgängerzone und bietet in Luis-Quatorze-Ambiente neben Tee und Kaffee nach Gewicht, außerdem Schokoladenspezialitäten sowie eine ausgesuchte Edition handbemaltes Porzellan genannt lilliput lane, aus Portugal und China an.
Um die Ecke führt die Rua de Correeiros parallel zur Rua Augusta bis zum Platz Praça de Figueira. In dieser Straße werden im Flaggenhaus Primeira Casa das Bandeiras Flaggen hergestellt. Der Gründer des Geschäfts war eigentlich ein Herrenschneider, aber António de Almeida Cardoso sattelte um auf handgewebte Flaggen. Als glühender Republikaner war es seine Werkstatt, die die erste Flagge der Republik Portugal am Tag zur Ausrufung der Republik am 5. Oktober 1910 webte. Zu seinen illustren Kunden für handgearbeitete Flaggen gehört unter anderen der spanische Königshof.
Regionale Spezialitäten werden seit über 100 Jahren im Restaurant João de Grão aufgetischt. Das traditionsreiche Haus und sein erster dynamischer Wirt machte sich den 40er Jahren als Lokal der Bohéme ohne Heimat einen Namen. Sieben Tage rund um die Uhr für alle von der Nacht übrig gebliebenen geöffnet, bot das Etablissement damals unterhaltsamen Stoff für ein eigenes Theaterstück, aufgeführt im Parque Meyer-Spielhaus.
Am Praça de Figueira warten Puppen auf ihren Puppendoktor. Im Krankenhaus Hospital das Bonecas werden kostbare Puppen aus dem vergangenen Jahrhundert und älter restauriert, sowie fragile Bewegungsmechanismen, Perücken, und mehr repariert. Über dem Geschäft befindet sich in einer früheren Belle-Époque Etage eingerichtet ein Privatmuseum der Puppenklinik. Über 3000 Puppen aus Europa und aller Welt, aus den unterschiedlichen Epochen und Herstellungsmethoden bevölkern die mit Stuck an den Decken verzierten Zimmer und laden Groß und Klein ein zu einer auf Englisch geführten Stippvisite.
Gleich in der Nähe der Puppenklinik liegen an der Ecke zwei Geschäfte mit Geschichte nebeneinander, der Samenhandel Hortelão und der Feinkosthändler Mantegaria Silva. Beim Samenhändler gibt es alles, was blüht, wächst, gedeiht und geerntet werden kann, als Saatgut zu kaufen.
Bei Senhor Silva nebenan, schwelgt man in den kulinarischen Köstlichkeiten Portugals. Rohmilchkäsesorten von Schaf und Ziege, Schinkenspezialitäten vom schwarzen Schwein, rote Wurstsorten, Bacalhau-Zungen, Oliven-Öl, Wein, Likör, und jede Menge andere Köstlichkeiten, die zu einem Picknick auf einem der unzähligen Miradoro-Aussichtsterrassen von Lissabon verführen oder dazu, den Koffer mit lukullischen Souvenirs zu füllen.
Die Liste ließe sich seitenweise fortsetzten. Fast vollständig findet man auf der Webseite der Stadt Lissabon ein Dokument mit Namen und Adressen zum Downloaden (PDF). Wer aufmerksam durch Lissabon flaniert, erkennt die Geschäfte mit Geschichte auf den ersten Blick – und nicht nur am eigens an die Fassade geschraubtem Schild. Charmant, außergewöhnlich, winzig und historisch, müssen sie sein, so lauten die Kriterien. Geschichten erzählen sie alle. Als da wäre die Waffenhandlung Espingardaria Central am Rossio Bahnhof, der Tabakhändler Monaco und das Café Nicola am Rossio, die Schmuckhändlerin Joalharia do Carmo unter dem Santa Justa Aufzug und gleich daneben die schönste und winzigste Handschuh-Boutique der Welt, a Luvaria Ulisses, und noch ist der Reisende auf seinem nostalgischen Bummel nicht im Chiado oder den anderen Stadtquartieren und seinen charmanten Boutiquen, Bars und Buchhandlungen angekommen.
Doch eigentlich ist es einerlei, in welche Loja com História der Weg führen mag, ob man ein Stück handgemachte Seife, eine von Hand gezogene Kerze oder ein von Hand genähtes Paar Schuhe erwirbt, ein Stück Lissabonner Handelskultur war, ist, und bleibt – en vogue.