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Interview mit dem Direktor des Flamenco Tanz Museums in Sevilla

Museo del Baile Flamenco Sevilla

Feuer und Flamme für Carmen

Im Herzen der andalusischen Hauptstadt hat man im „Museo del Baile Flamenco“, dem Flamenco Museum Sevillas, die Gelegenheit, Spaniens berühmteste Form der Darstellenden Kunst in all ihren Facetten zu entdecken. Die kulturelle Einrichtung ist die Krönung des Lebenswerks der renommierten Tänzerin und Choreografin Cristina Hoyos und wird von dem gebürtigen Franken Kurt Grötsch geleitet. Der Direktor, 1954 in Fürth geboren, empfängt uns in der Altstadt von Sevilla in seinem geräumigen Büro im zweiten Stock des Museums, das in einem Stadtpalast aus dem 18. Jahrhundert liegt und nach einer 18 Monate langen Corona-Pause jetzt wieder Besucher empfängt.

Kurt Grötsch
Kurt Grötsch
Herr Grötsch, tanzen Sie selbst Flamenco?

Kurt Grötsch: Nein, auch keinen Walzer oder ähnliches, da mein Rhythmusgefühl 15 Minuten später nach der Musik einsetzt, ich bin dann wohl hoffnungslos aus dem Takt. Ich höre und sehe lieber zu. Ich habe in den letzten Jahren rund 7000 Aufführungen genossen und mich dabei kein einziges Mal gelangweilt, da jede Flamencodarbietung anders ist.

Der Direktor des weltweit einzigen Flamenco-Tanzmuseums ist ein Deutscher. Wie kam es dazu?

Kurt Grötsch: In den 1980er Jahren war ich Dozent für Hispanistik an der Uni Erlangen. Damals sah ich den Film „Carmen“ von Carlos Saura. Ein Freund sagte mir: „Schau nicht nur auf die junge Tänzerin. Schau auf die andere. Die tanzt besser“. Und das war Cristina Hoyos. Ihre Ausdruckskraft machte einen tiefen Eindruck auf mich. Erst durch den Film erfuhr ich, dass Cristina Hoyos Spaniens berühmteste Tänzerin war. Wenige Jahre darauf ging ich nach Madrid, wo ich einen Master für Business Administration machte und die Tandem-Sprachschulen leitete. Über kulturelle Aktivitäten mit dem Goethe-Institut lernte ich meine heutige Frau kennen. Sie stammt aus Sevilla und managte damals das Ballett von Antonio Gades. Erst als ich nach Sevilla zog, stellte sich heraus, dass sie die Nichte von Cristina Hoyos war.

Cristina Hoyos by Prieto
Cristina Hoyos
Was für ein Zufall. Zu jener Zeit waren Antonio Gades und Cristina Hoyos Spaniens berühmteste Tanzinterpreten. Beide feierten Triumphe auf internationalen Bühnen, wirkten in den Filmen von Carlos Saura mit.

Kurt Grötsch: Cristina Hoyos, 1946 in Sevilla geboren, trat damals mit ihrem Ballett als erste Flamencotänzerin in der Oper von Paris auf und schuf eine Carmen-Choreografie für das Londoner Opernhaus mit Zubin Metha am Dirigentenpult. In dieser Zeit ging ich nach Sevilla, um an der Vorbereitung der Weltausstellung Expo 92 mitzuwirken. Im Sommer 1992 trat Cristina Hoyos bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele von Barcelona auf. Ich bemerkte, dass vor allem Andalusien, aber auch Spanien im Allgemeinen, mit Flamenco identifiziert wird, sich mit Flamenco darstellt, Flamenco verkauft, es aber an einer inhaltlichen Aufbereitung fehlte. Als Kulturgut war Flamenco vernachlässigt. Daraus entstand die Überlegung, den Besuchern Andalusiens mehr über Flamenco zu erzählen. Zum Beispiel, dass die Urgeschichte des Tanzes vor 3000 Jahren begann. Zusammen mit Cristina Hoyos und meiner Frau reifte die Idee, ein Museum in Sevilla zu gründen.

Das war lange bevor die UNESCO den Flamenco zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärte.

Kurt Grötsch: Diese Anerkennung gibt es seit 2010. Mit unseren Planungen für das Museum hatten wir 15 Jahre vorher begonnen. Von Anfang an wollten wir den touristischen Aspekt miteinbeziehen. Wir begaben uns auf die Suche nach einem repräsentativen Gebäude nahe der Kathedrale von Sevilla. Wir entschieden uns für einen typisch andalusischen Stadtpalast mit Patio und hohen Decken. Der war damals eine Ruine und durfte nur für kulturelle Zwecke restauriert werden. 2002 bildeten wir ein Team mit Spezialisten. Mit dabei waren Forscher vom Zentrum für Flamenco-Studien in Jerez. Nach einer langwierigen Restaurierung konnten wir das Museum 2006 eröffnen.

Museo del Baile Flamenco Sevilla
Museo del Baile Flamenco Sevilla
Das Museum ist eine private Einrichtung. Wie wurde es finanziert?

Kurt Grötsch: Mit Mitteln, die Cristina Hoyos bereitstellte, und über einen Bankkredit. Die Gesamtinvestition beträgt 5,5 Millionen Euro, zuzüglich der laufenden Kosten. Das muss erwirtschaftet werden. Die EU hat einen Beitrag von 8% geleistet. Vom Land Andalusien und der Stadt Sevilla kamen keine Mittel. Die Entstehung des Museums war vor allem eine unternehmerische Leistung von Cristina Hoyos.

Wie ist die Bilanz nach 15 Jahren? Wurden Ihre Erwartungen erfüllt?

Kurt Grötsch: Die ersten Jahre waren hart, auch wegen politischer Intrigen und Widerstände. Ab 2018 ging es sehr gut voran, ab diesen Jahren erreichten wir knapp 200.000 Besucher jährlich. In unseren Shows, bis zu 8 Shows pro Tag, wollen wir die Substanz des Flamencogefühls erlebbar machen. In Ausstellungen zeigten wir, welche Einflüsse der Flamenco auf andere Kunstformen wie Malerei hat. Wir haben uns eigentlich nie als ein klassisches Museum verstanden, sondern als ein Kulturdienstleistungsunternehmen, das einen Beitrag zur Profilierung, Ausbildung und Professionalisierung der Flamencoszene leistet. Deshalb stiften wir einen Preis, der an Unternehmen geht, die den Flamenco begleiten und auch wirtschaftlich möglich machen, zum Beispiel den Online-Shop „Flamenco Tickets”. Zusammen mit Psychologen aus Spanien und dem Ausland helfen wir psychisch kranken Menschen mit Flamenco-Therapie.

Museo del Baile Flamenco Sevilla
Museo del Baile Flamenco Sevilla
Flamenco als Therapie?

Kurt Grötsch: Flamenco ist tief emotional. Der Tanz hilft Menschen zum Beispiel mit Autismus, und anderen schweren psychischen Problemen. Unsere Workshops in Kooperation mit den Kliniken Sevillas sind das Ergebnis der Zusammenarbeit von Tanzlehrern und Psychologen.

Inzwischen sieht man in Sevilla wieder viele Besucher aus dem Ausland. Wie haben Sie diese schwierige Zeit fast ohne internationale Touristen überstanden?

Kurt Grötsch: Die Flamenco-Szene in ganz Spanien leidet. Wir haben es mit einer ökonomischen, aber auch schweren künstlerischen Krise zu tun. Viele Musiker und Tänzer sind verarmt. Sie leben am Rand der Gesellschaft und haben keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse. Vor Corona gab es in Spanien 96 Tablaos, also Bühnen mit regelmäßigem Spielbetrieb, die meisten in Sevilla, Madrid, Barcelona, Granada, Córdoba und Cádiz. Einige haben für immer zugemacht.

Wie sieht es mit staatlicher Unterstützung aus?

Kurt Grötsch: Unterstützung gab es nicht. Corona zeigt: Flamenco ist noch immer Underground in Spanien. Es wurde kein einziges Hilfsprogramm aufgelegt. Deshalb wurde auf Grund meiner Initiative der Verband der spanischen Flamenco-Lokale gegründet. Wir fordern Hilfe für eine Branche, die vor Corona rund 6 Millionen Besucher aus dem Ausland bedient hat und von offizieller Seite gern als Aushängeschild benutzt wird, als Bestandteil der „Marke Spanien“.

Das heißt also, die Branche ist auf den Tourismus angewiesen. Wie ist das Verhältnis der Spanier zum Flamenco?

Kurt Grötsch: Man muss da unterscheiden zwischen Andalusien und dem Rest des Landes. Hier in Südspanien sind Volksfeste ohne Flamenco nicht zu denken. Das ist gelebte Tradition, die ist tief verwurzelt und braucht keine professionellen Künstler. Dass da mal jemand sagt: Heute Abend gönne ich mir guten Flamenco, das findet eigentlich kaum statt in Spanien. Eher noch in Madrid, Barcelona als in Sevilla. Aber normalerweise geht ein Spanier nicht in einen Tablao.

Sie sagen, es handele sich nicht nur um eine wirtschaftliche, sondern auch künstlerische Krise. Warum?

Kurt Grötsch: Vor allem die Tänzer brauchen die Tablaos. Ohne die Lokale können sie nicht trainieren. Flamenco-Tänzer sind Hochleistungssportler, ohne regelmäßiges Training verlieren sie Kraft, Schnelligkeit und Flexibilität. Professionelles Training ist zuhause nicht möglich, allein schon aus Platzgründen und wegen der Nachbarn. Tänzer brauchen das Gegenüber, den Partner. Flamenco ist Paartanz, auch wenn die Tänzer sich nicht berühren. Natürlich haben auch Gitarristen und Sänger ein Problem, wenn die Probestätten geschlossen sind, aber weniger als die Tänzer.

Museo del Baile Flamenco Sevilla
Museo del Baile Flamenco Sevilla
Flamenco gilt als Ausdrucksform der Gitanos, der spanischen Zigeuner. Muss man Gitano sein, um gut Flamenco zu tanzen?

Kurt Grötsch: 60 bis 70 Prozent der Tänzerinnen sind nicht Zigeuner. Das hat ökonomische Gründe: Eine professionelle Tanzausbildung ist teuer. Die Tänzer bezahlen ihre Ausbildung selbst. Eine besondere Investition ist die Zusammenarbeit mit einem Maestro, um eine eigene Choreografie zu entwickeln. Ein Tänzer braucht mindestens 10.000 Trainingsstunden, um ein professionelles Niveau zu erlangen. Singen ist billiger, auch Gitarre. Man lernt es in der Familie. Deshalb sind auch heute noch die meisten Musiker Gitanos, die Tänzer und Tänzerinnen aber nicht. Trotzdem, die herausragenden Flamenco Künstler sind Andalusier. Das Umfeld, die lokalen Kulturen, die Künstlerfamilien schaffen dieses Lebensgefühl, das man nicht in Schulen vermitteln kann, man wird in ihm geboren.

Wie geht es jetzt weiter mit dem Museum?

Kurt Grötsch: Wir haben die lange Zeit der Schließung genutzt und neue Technologien installiert. Zum Beispiel Touchscreens und eine 13 Meter lange LED-Wall, die ein noch intensiveres, interaktives Kulturerlebnis ermöglichen. In der ersten Phase der Öffnung wird es jeden Tag eine Show geben. Wir hoffen, dass wir ab 2022 dann wieder mit mehreren Shows pro Tag starten können. Doch bis ein regulärer Betrieb möglich ist, werden wir weitere Reserven mobilisieren müssen, um durchzuhalten.

OLIMAR Tipp

Sevilla ist nicht nur der Ursprungsort des Flamenco sondern bietet auch die köstlichsten Tapas. Außerdem wartet die größte Stadt Andalusiens mit zahlreichen Kulturdenkmälern und architektonischen Highlights auf. Hier empfehlen wir die Rundreise Andalusien mit dem Hochgeschwindigkeitszug AVE, bei der sie auch Zwischenstation in Sevilla machen. Dabei lässt sich die Stadt zum Beispiel wunderbar mit einer Kutschfahrt durch die Gassen des Barrio Santa Cruz und den Parque Maria Luisa erkunden. Bei einem längeren Aufenthalt erleben Sie die beeindruckende Architektur Sevillas am besten im H10 CASA DE LA PLATA, das sich harmonisch in die historische Umgebung einfügt. Die zahlreichen Tapasbars, die, unserer Meinung nach, auf jeden Fall einmal besucht werden sollten, liegen nur einige Fußminuten entfernt. Für ein besonders authentisch andalusisches Erlebnis übernachten Sie im PARADOR DE CARMONA. Als einer der zahlreichen Paradores in Spanien besticht das besondere Hotel im Innenland zwischen Sevilla und Córdoba mit weitläufigen Räumlichkeiten im maurisch-spanischen Stil und einer großen Gartenanlage mit Swimmingpool.

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