Kunst & Kultur
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Von der Gotik zur Manuelinik: Portugiesische Kronjuwelen der Architektur

Mosteiro dos Jerónimos

Die Wände in Portugals Heiligtümern sprechen eine ganz eigene Sprache, eine, die jeder Mensch mit den Augen und Fingern verstehen kann: die Manuelinik.

Im späten Mittelalter konnten Matrosen weder lesen noch schreiben, beobachten konnten sie dafür sehr gut und merkten sich alles, was sie auf Großer Fahrt über die Weltmeere und ferne Länder gesehen, gehört, geschmeckt, geschnuppert und erlebt haben.

Heimgekehrt zu ihren Familien ging es am Abend in die Taverne. Dort wartete bereits die gesamte Nachbarschaft neugierig auf Geschichten aus dem Orient, vom Amazonas, aus der Wüste, von den Mohren und aus dem exotischen Japan und China. Ein Schoppen Wein löste die Zungen der Matrosen und sie erzählten ihrem staunenden Publikum von den Tieren, den Menschen und von den Pflanzen, die sie auf großer Fahrt gesehen haben. Zum Beispiel vom Tier mit riesigen Ohren, Zähnen und Rüssel, und von denen mit zwei Höckern auf dem Rücken, von gestreiften Pferden und badenden Riesenschweinen, von gefleckten Katzen so groß wie Ponys, von sprechenden bunten Vögeln, von Menschenaffen.

Sie schwärmten von anmutenden Tempeltänzerinnen, hypnotischen Derwischen oder von halbnackten Frauen. Ehrfürchtig leise flüsterten sie von Schlangenbeschwörern, von verschleierten Frauen, von Krummsäbeln. In einem Wort: Seemannsgarn. Die Geschichten der Matrosen glichen jenen der Offiziere und gelangten manchmal bis an den königlichen Hof und an das Ohr des Königs.

Der glückliche König, sein Volk und seine Kunstidee

Auf der Bugwelle der Entdeckerepoche regierte König D. Manuel I (O Venturoso, der Glückliche) von 1495 bis 1521. Die einen behaupten, glücklich wäre er wegen seiner drei bildhübschen Ehefrauen gewesen. Oder wegen der unermesslichen Reichtümer, die ihren Weg aus drei Kontinenten über das Meer nach Portugal fanden.

Glücklich schätzt sich heute besonders die Nachwelt, denn König Manuel I hörte sich das Seemannsgarn sehr aufmerksam an und fasste einen kunsthistorisch nachhaltigen Entschluss: Unabhängig vom Bildungsniveau oder der Muttersprache, sollte alles Fremde aus anderen Kulturen für alle Menschen verständlich sichtbar gemacht werden und für ewig sichtbar bleiben, damit man sich selbst viele Jahrhunderte später an die glorreichen Entdeckerfahrten der Portugiesen erinnert.

So klopften und gravierten in den folgenden 400 Jahren hunderte Bildhauer, Skulpteure und Steinmetze die Geschichte Portugals in Sandstein an die Fassaden von Heiligtümern, Palästen, Universitäten und anderen offiziellen Gebäuden und setzten ihrem König damit auch ein Denkmal.

Zuvor widmeten sich seit über 200 Jahren bereits die Steinmetze des Ornamentierens in Portugals Heiligtümern, und haben Maßwerk, Säulen und Kapitele, Kreuzgewölbe, Portalbögen und Fenstereinfassungen nach gotischer Manier dekoriert. Weniger naturalistisch detailverliebt, dafür symbolisch mystisch und geometrisch klar liniert.

Spitzbogen Gotik Mosteiro da Batalha
Spitzbogen Mosteiro da Batalha – gotisch und manuelinisch

Manuelinik und der Einzug von Bilderbüchern in Stein

Mit dem Einzug der Manuelinik veränderte sich die Darstellungsform des Ornamentierens von formaler zur bildhaft künstlerischer Sprache, als wäre der Stein ein Bilderbuch und jedes Motiv eine eigene Seite darin, die sich nirgends wiederholt. Die Manuelinik spricht zum Betrachter – ganz ohne Worte. Sogar mit geschlossenen Augen erkennen Fingerkuppen beim Entlangstreichen über den glattgeschliffenen Stein jedes Motiv, jedes Gesicht.

Der Übergang von der Gotik zur Spätgotik und zur Manuelinik vollzog sich allmählich. Etliche Denkmale in Portugal vereinen alle Kunststile, ein Beispiel hierfür ist das Weltkulturerbe Abtei Mosteiro de Santa Maria da Vitória in Batalha. Insignien wie Christusritterkreuz und Königliches Wappen, fragil gearbeitete Fenstergitter, die an Klöppelarbeiten oder filigranen Silberschmuck erinnern, geometrische Figuren mit spiritueller Bedeutung sowie Fratzen heidnischer Dämonen bebildern die Maßwerk im alten Kreuzgang und Kapitelsaal, während der Besucher im neuen Kreuzgang sowie in der unvollendeten Kapelle hinter dem Hochaltar bereits üppig auf Elemente der Manuelinik stößt.

Manuelinik im Christuskloster von Tomar

Das kunsthistorische Kronjuwel der portugiesischen Architektur-Epochen steht in Tomar. Die 1983 zum Weltkulturerbe erhobene Christusritterburg mit Kloster Convento do Cristo und einstige Templerburg Portugals ist über 850 Jahre alt. Sämtliche Burgherren haben sich mit einer Bauerweiterung der Festung ein eigenes Andenken gesetzt.

Die ständige Veränderung der Bastion führte zu einem imposanten bauhistorischen Mosaik auf einer Gesamtfläche von über 50.000 Quadratmeter. In etlichen Kreuzgängen breiten sich romanische, gotische, barocke sowie Stilelemente aus der Renaissance aus, aber vor allem die weltweit einzigartige Manuelinik-Architektur. Kraken-Tentakel und Schiffstaue stützen Gewölbe, Kuppeln, Spitz- oder Hufeisenbögen.

Korallen wachsen aus Maßwerk und Arkaden. Löwen, Elefanten, Kamele, Antilopen stolzieren über Säulen, Fabelwesen schauen von den Kapitellen herab. Blüten, Blätter, Fruchtstände, symbolisieren den Paradiesgarten. Am berühmtesten Fenster Portugals, an der Fassade der Klosterkirche, vereinigen sich sogar sämtliche Hauptelemente des kunstgeschichtlichen Weltkulturerbes und nach König D. Manuel I. benannten Kunststils.

Gekrönt vom Ordenskreuz der Christusritter, darunter das Wappen der Königsfamilie mit Krone, links und rechts die Armillarsphäre, oben aufgesetzt die göttliche Fackel mit ewigem Licht und Seilschlingen mit Bojen schmücken das Fenster. Rechts daneben wächst ein zum Schiffstau stilisierter Pfeiler empor, dessen steinerne Schnüre symbolisch für den imperialistischen Höhepunkt in der Entdeckerepoche Portugals mit dem Gürtel des Königs zusammengehalten werden.

Hieronymuskloster in Lissabon

Ein imposantes, wenn nicht das imposanteste Werk der Manuelinik steht in Lissabon: das Mosteiro dos Jerónimos (auch Mosteiro de Belém). Hier kommen steinreiche Bildhauer-Symphonie mit ergötzender Ikonografie zusammen. Es ist das nachhaltigste Erbe des glücklichen Königs, der gleichzeitig Entdeckergeschichte und Kunstgeschichte geschrieben hat.

Kreuzgang Mosteiro dos Jerónimos
Kreuzgang Mosteiro dos Jerónimos

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Die Schriftstellerin Catrin Ponciano lebt in Portugal und arbeitet hauptberuflich als Journalistin, Essayistin und Autorin. Die ehemalige Küchenchefin wagte 2006 einen Neuanfang, legte das Messer aus der Hand und nennt seither einen Stift ihr Werkzeug. Ihre Themen umspannen Portugals Kultur und Lebensart. Poncianos Kriminalromandebüt „Leiser Tod in Lissabon“ wurde 2021 mit dem Debütpreis der Stuttgarter Kriminächte ausgezeichnet. Die Reiselektüre „111 Orte in Porto die man gesehen haben muss“ ist ihr dritter 111-Orte-Band – nach „111 Algarve“ und „111 Alentejo“. Die Autorin ist Mitglied im Syndikat für deutschsprachige Kriminalliteratur, im PEN-Berlin, sowie bei der 42er-Autoren. Hier geht's zu ihrer Autoren-Webseite.

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