Kunst & Kultur
Kommentare 1

Sternstunden im Klangkosmos – Portugals Musik

Portugal Musik Monumento Jose Afonso

Eine schmachtende Frauenstimme in Moll, die Seufzer der Gitarra Portuguesa: Alle Welt kennt den Fado, Portugals Sehnsuchtsgesang, der seit 2011 immaterielles Weltkulturerbe ist. Doch die musikalische Landschaft zwischen Porto, Lissabon und Faro umfasst viel mehr: Polyphone Gesänge treffen auf afrikanische und brasilianische Rhythmen, Pop und Rock auf Techno, Tango und epische Filmmusik.

»Lissabon, sei nicht so französisch« sang Amália Rodrigues vor 60 Jahren zu einer beschwingten Melodie. Portugal war damals ein abgeschottetes Land, die Elite rund um den Diktator Salazar trug Chanel und trank Champagner, Amália tourte als offizielle »Stimme Portugals« um die Welt. »Lissabon, sei nicht so rassistisch«, singt Fado Bicha 2020 zur gleichen Melodie. In den traditionellen Casas de Fado hört man so etwas allerdings nicht. In den vor allem auf Touristen ausgerichteten Lokalen wird ein konservativ-folkloristisches Bild des Nationalgenres kultiviert. Eine Talentschmiede sind die Casas de Fado aber weiterhin: Alle großen Stars haben dort ihre Karriere begonnen. So auch die 1973 in Mosambik geborene Mariza, die mit Jazz, Gospel, Bossa Nova und Flamenco experimentiert.

Eine Brücke zur portugiesisch- kreolischen Musik Afrikas

Melancholie, Nostalgie, die vielbeschworene Saudade, all das ist auch bei Mariza präsent. Gleichzeitig schlägt sie eine Brücke zur portugiesisch-kreolischen Musik Afrikas, zu Morna, Coladeira und Kizomba. Mit diesen körperbetonten Rhythmen sind auch männliche afroportugiesische Künstler erfolgreich. Allen voran Dino D’ Santiago, der 2017 mit Madonna auftrat und auf ihrem Album »Madame X« mitwirkte. 2017 war auch in anderer Hinsicht eine Sternstunde: Salvador Sobral gewann den Eurovision Song Contest, Portugals erster ESC-Sieg. 2019 legt der Künstler das Album »Paris, Lisboa« vor, eine Hommage an den Film »Paris, Texas« von Wim Wenders. Auch im Ausnahmejahr 2020 wurde starke Musik produziert: Rodrigo Leão, Mitbegründer der Kultband Madre Deus, liefert mit »AVIS«, seinem 20. Album, einen minimalistisch-meditativen Soundtrack des Lockdowns.

10 Songs für die wir Portugal lieben

AMÁLIA RODRIGUES »Fado Português« (1965)

Mit brillanter Stimme ergründet Portugals größte Diva aller Zeiten den seelischen Ursprung des Schicksalsgesangs: »Der Fado entstand an einem Tag, als der Himmel ins Meer stürzte und ein trauriger Matrose zu singen begann«. Amália nahm das Lied 1965 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere auf, zu einer Zeit, als der Diktator Salazar Oppositionelle einsperrte und das Land in aussichtslose Kolonialkriege verwickelte. Sie war damals schon eine Ikone, die mit offiziellem Segen als »Stimme Portugals« in Paris, New York und selbst Moskau auftrat. Im Privaten unterstützte sie Regimekritiker wie Alain Oulman, der das Lied komponierte.

JOSÉ ,ZECA‘ AFONSO »Grândola Vila Morena« (1974)

Am 25. April 1974 kurz nach Mitternacht sendeten linke Militärs ein verbotenes Lied ins Land. Es war die Losung für den Aufstand, der als Nelkenrevolution in die Geschichte einging und Portugal in die Demokratie führte. Das Lied von der »braungebrannten Stadt« im Alentejo hat den Rhythmus eines langsamen Marsches. Den Refrain singt ein Männerchor im Stil des polyphonen Cante Alentejano, der seit 2014 immaterielles Weltkulturerbe ist.

»Balada da Despedida« (Fado de Coimbra)

Die Ballade ist eine Hommage an die alte Universitätsstadt Coimbra, die »in der Stunde des Abschieds den größten Zauber hat«, gesungen von männlichen Studenten in schwarzen Umhängen, begleitet von der Portugiesische Gitarre, die hier tiefer klingt als in Lissabon. Mit der Aura eines zeitlosen Volksliedes, wurde das 1958 von Fernando Machado Soares komponierte Stück über Portugal hinaus bekannt.

SALVADOR SOBRAL »Amar pelos dois« (2017)

Seine hohe Stimme klingt nuschelig, sein Jackett ist zu groß und niemand versteht, warum es geht: Trotzdem oder gerade deshalb gewinnt der damals 27-jährige Salvador Sobral 2017 den Eurovision Song Contest, Portugals erster ESC-Sieg. »Wenn dein Herz nicht leiden will, dann kann mein Herz für uns beide lieben«. Wem der ESC-Hit zu luschig ist, der höre sich Salvadors jazziges Album »Paris, Lisboa« an.

BURAKA SOM SISTEMA »Kalemba Wegue Wegue« (2008)

Wer hier nicht aufspringt und wild los tanzt, dem ist nicht zu helfen. Wegue Wegue ist ein ekstatischer Afro-Techno-Mix mit viel Kuduro, Angolas »Harter Arsch«-Musik. Der explosive Sprechgesang sorgte 2008 beim MTV European Music Award für Furore. Gamer werden mit Wegue Wegue in »Need for Speed Shift« unter Strom gesetzt. Der Name der 2016 aufgelösten Band bezieht sich auf den Lissabonner Vorort Buraca, Heimat vieler Afroportugiesen.

MÍSIA »Dança de Magoas« (1998)

Portugiesische Gitarre, Akkordeon, Violine und Klavier begleiten Mísias kraftvolle Stimme im »Tanz des Kummers«. Der Song erscheint 1998 auf ihrem vierten Album, das den Fado revolutioniert. Als schwarzgekleidete Diva mit bleichem Gesicht und Pagenschnitt singt sie von »Schmerz ohne Traurigkeit« und der »Fiktion auf einer Bühne ohne Bretter«. Sie verzauberte damit ein Publikum, das bis dato keinen Bezug zum Fado hatte und ebnete auch jüngeren Stars den Weg zum internationalen Erfolg.

MADREDEUS »A Cidade« (1987)

Die glockenklare Sopranstimme von Teresa Salgueiro hebt uns in den Himmel über Lissabon, blau und weiß wie die Azulejos im Kloster Madre de Deus. Auf Klangteppichen aus Gitarre, Kontrabass, Akkordeon und Synthesizer schweben wir voller Saudade über den sieben Hügeln der Stadt, »die kein Alter hat«. Mit ihrer zeitlos spirituellen und zugleich postmodern minimalistischen Musik stiegen Madredeus zur Kultband auf. 1994 lieferten sie den Soundtrack für Wim Wenders’ »Lisbon Story«.

FADO BICHA »Lisboa Não Sejas Racista« (2019)

»Lissabon, sei nicht rassistisch« ist eine transgressive Version eines Amália-Klassikers. Es singt Lila Fadista, eine Drag-Queen mit Bart, begleitet von João Caçador an der E-Gitarre. Das junge Künstler-Duo formiert sich 2017 in der LGBT-Szene und trägt den Namen »Fado Schwuchtel«. Fado Bicha rehabilitiert die Wurzeln des Genres in der urbanen Subkultur und ist der Beweis, dass Fado auch queer sein kann.

 

DINO  D‘SANTIAGO »Nova Lisboa« (2018)

»Fühl das neue Lissabon«: Die Stimme, die da zu Kizomba groovt, klingt wie Samt. Der sinnliche Rhythmus geht in die Hüfte. »Von wo kommen all diese Leute? Man sagt, wir seien jetzt in«, singt Dino D’Santiago und meint seine Landsleute mit afrikanischen Wurzeln. »Dizem que tamos na moda« wundert er sich auf Portugiesisch und Kreolisch. In seinen Hits verwendet Dino D’Santiago Afrostile wie Morna, Batuku und Funaná.

RODRIGO LEÃO & SCOTT MATTHEW »Life is long« (2016)

Der Song des gleichnamigen Albums beginnt mit einem hypnotischen Piano-Tick-Tack und endet wie eine melancholische Hymne. Es singt der in New York lebende Australier Scott Matthew, es musiziert Rodrigo Leão, Ex-Madredeus und Tausendsassa der portugiesischen Musikszene, der hier alles zeigt, was er kann: epische Pop-Musik mit Elementen aus Fado, Tango und Klassik in Cinemascope.

 

1 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert